in: "Digitalisierung" , Prof Dr. HElmut Perstneiner,Prof. Dr. Habil Stephan Schöning,Prof. Dr. HAndan Sumer Göğuş, Editor, Linde, Vienna, pp.483-528, 2020
Die Digitalisierung führt in der gesamten
Arbeitswelt zu tiefgreifenden Veränderungen. Auch für das Human Resource
Management (HRM) bieten sich hier neue Möglichkeiten aber auch
Herausforderungen. Die strategischen Aufgaben der Zukunft im
Personalbereich bedürfen auch der
Entwicklung und Ausnutzung der Potentiale von e-HRM.[1]
IT-gestützte HRM-Lösungen und -Tools verändern die Aufgaben von
transaktionalen, traditionalen und transformativen HRM-Funktionen und auch
Arbeitsinhalte müssen sich dementsprechend anpassen.[2]
In wissenschaftlichen Studien konzentrieren sich
ForscherInnen im Wesentlichen auf Großunternehmen. Allerdings ist die
Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf KMU eingeschränkt. Es ist zu erwarten,
dass sich die Personalarbeit in KMU von der Personalarbeit in Unternehmen mit
mehreren hundert oder tausend Mitarbeitenden unterscheidet. Auch in KMU gibt es
eine Vielfalt an Herausforderungen im Personalmanagement, jedoch sind in KMU im
Vergleich zu Großunternehmen z. B. die Investitionsbudgets oder auch das
vorhandene IT-spezifische Fachwissen eingeschränkter. Anstelle einer
HR-Abteilung ist es meist der oder die GeschäftsführerIn der/die für den
Bereich Personal verantwortlich ist. Manchmal sind Personalmanagementaufgaben
in KMU jedoch auch einfacher, schneller und pragmatischer zu lösen, da diese
Unternehmen überschaubar sind, es persönliche Interaktion zwischen Führung und
Mitarbeitenden gibt und eine direkte Kommunikation möglich ist.
Auf Basis der Überlegungen zu e-HRM und
besonderen Herausforderungen für KMU wurden Interviews mit 12 PersonalmanagerInnen
in türkischen KMU zur Wahrnehmung hinsichtlich der Chancen und Risiken der
Digitalisierung geführt. Neben einführenden Fragen zur Rolle der Befragten im
Unternehmen wurden Fragen bzgl. verschiedener Aspekte der Digitalisierung wie
Bedeutung der Digitalisierung für das Unternehmen, Ziel der Digitalisierung
sowie Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung gestellt. Die
Interviews wurden in Anlehnung an inhaltsanalytische Techniken ausgewertet.[3]
Die Auswertung und Strukturierung erfolgte auf Basis vorab definierter grober
Überkategorien und wurde dann durch die induktive Bildung weiterer Kategorien
und entsprechender Auszählung ergänzt.
In Bezug auf die Chancen der Digitalisierung
ließen sich fünf grobe Überkategorien bilden, mit denen alle genannten Aspekte
abgedeckt werden konnten: Effizienzgewinne, Wachstum und Entwicklung, Erhöhte
Zugänglichkeit von Informationen, Systematisierung von Daten, und
Erleichterungen in der Kommunikation. Effizienzgewinne und erhöhte
Produktivität bei Arbeitskräften sowie Kosten- und Zeiteinsparungen gehörten zu
den Chancen des e-HRM. Interessant ist dabei, dass die meisten Nennungen im
Bereich der Effizienzgewinne liegen. Somit liegt ein Schwerpunkt - zumindest in
den Äußerungen der durchgeführten Interviews - in der effizienteren Gestaltung
und Optimierung von Prozessen. Dies stellt somit eine Art Basiskategorie der
Ziele von e-HRM dar. Stärker transformative
und gestalterische Ziele der Digitalisierung sind im Bereich der KMU nur
sekundär vorhanden. Es dominieren Optimierungs- und Automatisierungsziele. Es
ist zu erwarten, dass stärkere transformative und proaktive gestalterische
Impulse durch die Digitalisierung wahrscheinlich erst nach der
umfassenderen Implementierung von
Effizienzinitiativen und digitalen Prozessoptimierungen eingeleitet werden.
Nach dem konkreten Erleben und spezifischen
Instrumenten im Rahmen des e-HRM befragt, wurden verschiedene Instrumente und
Praktiken genannt, die entsprechend der im theoretischen Teil erläuterten
Klassifizierung in transaktionale, traditionelle und transformative Potentiale
unterteilt wurden. In Bezug auf digitalisierungsbezogene Veränderungen in der
Personalabteilung liegt der Schwerpunkt auf der traditionellen Personalarbeit.
Viele der eingesetzten Instrumente beziehen sich hierbei auf die frühe Phase
des Mitarbeitendenzyklus, d. h. die meisten Instrumente der Digitalisierung im
HR-Bereich beziehen sich auf Recruitment und die Personalauswahl.
Transformative e-HRM Aktivitäten wurden am zweithäufigsten genannt. Hier dreht
es sich vor allem um veränderte Kommunikationsformen. Viele andere
vielversprechende transformative Potenziale der Digitalisierung wie zum
Beispiel Crowdsourcing, Open Innovation oder AI fanden hingegen kaum Erwähnung
im KMU Bereich.
Als wichtigste Herausforderung der Digitalisierung
im KMU Bereich wurde die Notwendigkeit von Investitionen und von Anpassung identifiziert.
Dies unterstreicht noch einmal die große Herausforderung von KMU die nötigen
Investitionsrisiken einzugehen und damit verbundenes Fachwissen im Bereich der
Digitalisierung aufzubauen. Die nötigen Investitionsgüter verlangen besondere
Konzepte der Implementierung von Digitalisierungsinitiativen in KMU. Es bedarf spezifischer
Investitionsanstrengungen und maßgeschneiderter IT Lösungen, die auf KMU
angepasst sind, und stark mitarbeitendenzentrierter Implementierungskonzepte.
Gerade in KMU, wo viel Wissen implizit in den Köpfen der Mitarbeitenden
vorhanden ist, bedarf es hoher Anstrengungen für passende sozio-digitale
Lösungen. Neben dem Investitionsbedarf bestehen große Herausforderungen auch
auf eher psychologischen Ebenen wie zum Beispiel Sicherheitsbedenken oder
Überwachungsängste und Kontrollverluste. Gerade im HR-Bereich bestehen auch
besondere Bedenken über den Verlust persönlicher Interaktion durch die Digitalisierung
oder Angst vor Rationalisierung von Personal.
Die Interviews zeigen, dass sich türkische KMU in
der einen oder anderen Art mit dem Thema der Digitalisierung sowie dem e-HRM
beschäftigen. Die Herausforderungen an das Personalmanagement und Bedeutung für
den Unternehmenserfolg ist den kleinen Unternehmen und Organisationen auf Basis
der Interviews durchaus bewusst. Eine zentrale Erkenntnis ist, dass in KMU
Effizienzgewinne im Vordergrund stehen, transformative Potentiale und
Instrumente eher noch im Hintergrund stehen und dass die größten
Herausforderungen für KMU in den oft hohen Investitionskosten und -risiken
bestehen. Darüber hinaus sind die zeitlichen und personellen Ressourcen für das
Personalmanagement in KMU ohnehin beschränkt. Somit kristallisieren sich die
größten Schwierigkeiten im Bereich des spezifischen Know-hows und des Investitionsbedarfs.
Gleichzeitig stehen KMU meist auch im direkten Wettbewerb mit großen
Unternehmen um Arbeitskräfte. Diese neuen und talentierten Arbeitskräfte
verlangen aber auch nach neuen Arbeitsformen wie Home-Office, agilem Arbeiten,
Förderung von Selbstbestimmtheit und Flexibilität durch mehr Autonomie, Feedbackorientierung,
Mitbestimmung, aber auch e-HRM bezogenen Funktionen wie selbstgesteuertem
Lernen über mobile Learning-Anwendungen, digitale Lernplattformen, Social Media
usw.. Gerade die mit der Anspruchshaltung von BewerberInnen verbundenen
Erwartungen und Forderungen an moderne Arbeitsplätze, Arbeitsformen und
Organisationsformen unterstreichen die Wichtigkeit der transformativen
Potenziale von e-HRM. Vor dem Hintergrund der besonderen Situation von KMU
unterstreicht dies die besondere Notwendigkeit auf der einen Seite Ressourcen
und Know-How für eine gelungene Digitalisierung aufzubauen; auf der anderen
Seite ist es wiederum genau diese Digitalisierung, die hohe Effizienzgewinne
schafft und Ressourcen freisetzen kann. Nicht zuletzt kann die Digitalisierung
so zu moderner Arbeit, Interaktion und Organisationsformen beitragen, die
wiederum die Organisation für talentierte Know-How TrägerInnen und
BewerberInnen attraktiv macht.